Samstag, 24. September 2011

Boha und Selbstfindung

Links Boha, rechts Banana Beer
Ans Banana Beer könnte ich mich schon gewöhnen. 10% Alkoholgehalt gewöhnen sich jedenfalls schnell an mich.
Wer aber auch immer zugelassen hat, das Zuckerrohr gärt, der gehört gleich mit einer ganzen Staude davon geschlagen!



Jeder Teil des Landes hat sein eigenes selbsthergestelltes Gebräu. Verwendet wird hierfür immer das, was angebaut wird und was gärt. Im biologischen Sektor bekanntlich alles. Hier rund um Lushoto ist es Zuckerrohr. Wenn das mal mit Wasser und was auch sonst immer gärt, wird es von den Einwohnern gerne konsumiert, hat es doch zwei wichtige Vorteile: Es macht betrunken und ist günstig. Boha heißt das Gesöff mit einem Geruch, der an Apfelmost erinnert, aber doch undefinierbar schmeckt.
Ich, für meinen Teil, werde dieses Wort wieder schnell aus meinem Kiswahiliwortschatz streichen, und Manuel wird es sich hoffentlich – so kurz vor seiner Heimreise - erst gar nicht merken. Rogers hat eine gute Entscheidung getroffen, erst gar nie mit dem Alkoholtrinken anzufangen und Rehema ist augenblicklich aus dem local pub gestürzt, um dieses feuchte Etwas erst gar nicht in ihre Kehle gelangen zu lassen.
Local pub Tour mit Rehema, Rogers und Manuel
Nette Wazungus wie wir sind, haben wir die restlichen 2 Liter ein paar – schon besoffenen – Stammgästen geschenkt, die sich sehr gefreut haben. Ihre Ehefrauen werden dies wahrscheinlich anders sehen.
Alkoholismus ist ein enormes Problem in Tansania und für viele die einzige Möglichkeit, den Alltagssorgen zu entkommen. Schon mittags torkeln Besoffene die Straßen entlang. Also eigentlich Grazer Jakominiplatz, nur eben anderer Kontinent.
Wir vier jedenfalls bewegen uns einigermaßen geradlinig – was bei den Straßen, bei der Steigung und bei der Dunkelheit schon einem artistischen Kunststück gleichkommt – wieder zurück zum Hostel, wo schon das Essen und noch ein „richtiges“ Bier – mit der Ausnahme, dass es nicht gekühlt getrunken wird – auf uns wartet.  Und es wird richtig gemütlich und lustig Manuels Abschied gefeiert. Nur wir vier, kein Father oder Brother dabei, die der ganzen Atmosphäre gleich die Lockerheit nehmen. Denn nach nur sechs Tagen nehme ich das Leben hier in diesem katholischen Hostel schon etwas beengend wahr. Nach nur sechs Tagen kann ich mit Entschiedenheit sagen, dass ich so eine Unterkunft nur Menschen empfehle, die einerseits ein hohes Schutz- und Geborgenheitsbedürfnis haben und andererseits sehr religiös sind.
Father Francis in Smashing Action
Dem ganzen liturgischen Tamtam kann man ja noch recht gut entgehen, aber dieses Beobachtet werden, diesen indirekten Andeutungen, interessiert daran zu sein, wo man war und was man getan hat - vermutend, dass dahinter nur zum Teil die Sorge ums Wohlbefinden steckt, aber vordergründig das moralische Ansehen gewahrt werden will - diese Kontrollen nerven. Nerven deshalb, weil sie manipulativ und nicht direkt geschehen. Weil nicht Klartext geredet wird.

Hier ein Beispiel, um dies zu verdeutlichen: Samstag nachmittag verbringe ich die meiste Zeit mit Manuel, Rehema und Rogers in dessen Haus, das auf dem Schulareal und somit etwas entfernt vom Hostel liegt. Ich weiß von F.F. (Father Francis), dass es zwar „nur“ Freundschaften zwischen Männer und Frauen gibt, dass sich diese aber öffentlich abspielen. Alles andere würde sofort zur Vermutung  führen, dass da mehr läuft. Wenn das dann auch noch auf geheiligtem, katholischen Grund passiert, kann sich jeder ausmalen, wie verpönt das ist. Aber mit dieser Einstellung hab ich grundsätzlich keine Probleme (auch wenn ich sie als blödsinnig empfinde), ich kann sie akzeptieren oder ignorieren und muss dann eben die Konsequenzen tragen.
Das, was mich in konkretem Fall auf die Palme bringt – und ich kann nicht festlegen, ob dies auf tansanischer Mentalität, moralisch-katholischer Einstellung oder einfach nur auf der Persönlichkeit Einzelner beruht – ist, wenn mich dann ein Brother, den ich in den letzten Tagen nie getroffen habe und mit dem ich auch bisher kaum ein Wort gewechselt habe, mit folgenden Worten anspricht: „Wie geht es Dir denn, ich hab Dich ja heute den ganzen Nachmittag (!!!) nicht gesehen. Ich hoffe, Du hattest eine schöne Zeit. Vielleicht hast Du ja die anderen Volontäre auch getroffen. Na, wahrscheinlich ward ihr in der Stadt unterwegs und habt viel angeschaut, stimmts?“ Und so weiter….
Mag sein, dass ich hier überempfindlich reagiere und interpretiere, wo es nichts zu interpretieren gibt, aber ich vermute, dass er eigentlich nur drei Dinge wissen will: Mit wem ich wo war und was ich dort getrieben hab.
Anfangs ließ ich mich tatsächlich davon beeinflussen und verfalle in eine Art Rechtfertigung. Auch füge ich mich anfangs ein, täusche vor, mit den anderen vor dem Essen zu beten oder halte mich zurück, wenn veraltete Einstellungen zu Homosexualität oder Frauen ans Tageslicht tritt, damit ich nicht auffalle, damit ich nicht anecke und nicht in die Lage komme, mich rechtfertigen zu müssen. Schließlich bin ich doch hier die Fremde, der Gast und muss mich anpassen.
Aber jedes Mal danach fühle ich mich schlecht. Ich fühle mich, als hätte ich mich selbst verraten und verleugnet. Nein, das bin nicht ich!

Bei Rogers, weils dort Strom gibt.
Dann aber taucht Manuel auf und „rettet“ mich sozusagen. Manuel, seines Zeichens Österreicher, hat zwei Monate bei den Rosminians als Voluntär verbracht und sehr schnell bemerkt, wie der sogenannte „Hase“ läuft. Und er hat sich so gegeben, wie er ist, hat alles hinterfragt, hat seine Meinung geäußert und war ehrlich. Und hat dennoch einen guten Mittelweg des Zusammenlebens gefunden. Und er hat mich mit seinen Erfahrungen bestärkt, dass ich trotz der Fremde, in der ich nun lebe, ich selbst bleiben soll. Was nicht heißen soll, dass ich das Verhalten und Denken der Menschen um mich nicht akzeptiere. Aber ich muss nicht mitmachen.
Etwas wird mir bewusst: Es ist ganz furchtbar, wenn wir von Ausländern verlangen, dass sie sich in ihrer neuen Heimat anpassen sollen, darunter aber verstehen, dass sie sich verstellen und damit verleugnen sollen, ihre Identität, ihre Wurzeln, ihren Glauben zwecks „Integration“ aufgeben müssen. Ich hab es gerade am eigenen Leib verspürt und dabei wurde es noch nicht mal von mir verlangt.

Manuel, wenn Du das hier liest: I daunk Da! J
(Nachtrag: Manuel ist am Tag darauf abgereist, hat hoffentlich noch genügend Bankomaten gefunden, um sich seine Kilimanjarobesteigung zu finanzieren und friert sich jetzt wohl irgendwo auf diesem Hügerl den Hintern ab, bevor er zu den Ösis wieder „Griaß Eich!“ sagt.)

1 Kommentar:

  1. Die Blogerin höchstpersönlich30. September 2011 um 20:26

    Ich mag zwar selbst manchen Seitehieb austeilen und damit auch den einen oder anderen beleidigen. Aber ich weiß immer, wie es gemeint ist, was ich von Komentaren mir fremder Personen nicht behaupten kann.
    Daher möchte ich hier diese Art von Kommentare nicht zulassen.

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