Dienstag, 20. September 2011

Ankommen - Teil 1

Erst vor drei Tagen bin ich hier gelandet? Oder sagen wir mal „gestrandet“. Nein, noch besser trifft „gesandet“, bzw. „gestaubt“ . Denn nichts anderes hab ich heute eingeatmet, als ich in Lushoto nach machungwa (Orangen) frage. Als ich mich beim Volleyball spielen hochmotiviert auf den Boden werfe. Als wieder mal ein Auto laut hupend millimeterknapp an mir vorbeibraust, weil ich für kurze Zeit vergesse, dass hier die Menschen den Autos auszuweichen haben und nicht umgekehrt.



Erste Einkäufe
Aber jetzt spül ich den Staub erst mal mit einem Schluck Sakharani Port runter. Lecker das Zeug, sehr süß, rinnt hervorragend. Und hier in der Nähe produziert. Übrigens meine erste – auf Kiswahili erstandene – Flasche Wein. Die machungwa hab ich natürlich auch bekommen. Die hätten sie mir auch in Englisch verkauft, aber da bin ich hartnäckig. Entweder wird mit mir in Kiswahili gesprochen oder es gibt keinen Deal. Die arme Liz wurde schon etwas ungeduldig, verhandelt sie doch nur in Englisch. Schon deshalb, da sie außer „Ahsante!“ (Danke!) nichts anderes beherrscht.
Als Englischlehrerin vertritt sie die Meinung, dass die Menschen hier ihre eigene Amtssprache beherrschen sollten, wollen sie wettbewerbsfähig werden. Ist natürlich auch was drann. Denn gut Englisch sprechen hier hauptsächlich und fast ausschließlich nur die Kinder.

Nun gut, vielleicht fang ich doch von vorne an. Und ich sag Euch, die drei Tage hier haben schon so viel in sich, dass das ein langer Post wird. Also zieht Euch warm an und geht nochmal aufs Klo, bevor Ihr zu lesen beginnt. Ich tu es jedenfalls, denn zum einen ist die Sonne weg und dann wird es hier ordentlich frisch. Zum anderen der Portwein…. Ihr wisst schon!

Was bisher geschah:
Flugzeug nach Kairo, Bauchtanz und Türsteherflugbegleiter. Könnt Ihr Euch erinnern! Dann ist es gut!
Suchbild

Wie lange vor der Landung Kairo beginnt, ist schwer zu sagen. Irgendwann fliegen wir über ein nicht mehr enden wollendes Lichtermeer. Vielleicht fliegen wir 30 Minuten über die Stadt, vielleicht kürzer, vielleicht länger. Wir landen etwas wackelig, denn die Maschine setzt so schief auf, dass ich das Gefühl habe, dass wir seitlich umkippen. Adrenalinausschüttung also auf Maximumlevel. Kaum hat sich die Maschine nach ein paar Schlenkerern aus der misslichen Seitenlage befreit, springen die Multikultiinsassen schon auf, um ihre glitzernden Hartschalenköfferchen aus den Ablagen zu befreien. Ein „Stay seated till the plane reaches its final position!“  gibt‘s hier nicht. Das Flugzeug kurvt dennoch noch minutenlang herum, bevor es seinen Inhalt entleert. Ich hab zwar Zeit bis zum Anschlussflug, möchte mich aber doch schon früher in die Nähe des richtigen Gates wissen und das ist gut so. Denn trotz Sicherheitskontrolle wird hier nochmal sicherheitskontrolliert. Und wenn man sich dann endlich sicher genug fühlt, um eine Flasche Wasser zu kaufen, wird man wieder sicherheitskontrolliert und darf davor die gerade gekaufte Flasche in Highspeed ausschlürfen. Praktischerweise gibt’s dann hinter dieser Sicherheitskontrolle keine Toilette mehr.
Dafür gibt’s wlan und ich lasse mich neben einer Steckdose nieder, damit ich mit dem Herzallerliebsten skypen und mit dem Rest der Welt facebooken kann. Neben mir wird mal schnell gen Mekka gebetet und ganz in der Nähe erfasse ich die ersten Brocken Kiswahili. Abenteuerfeeling pur, und das nur in einer stinknormalen Boarding Area.
Will auch mit
Dann dürfen wir ins Flugzeug, aber erst nach 5maliger Boardingpasskontrolle. Spüre ich da schon afrikanische Bürokratie?

Wieder reise ich mit der Egypt Air, diesmal kümmern sich die Damen um unser Wohlergehen. Die wenigsten brauchen aber etwas, denn kurz nach dem Abheben und dem Abendessen – es ist nach Mitternacht – fallen alle Passagiere in einen bewundernswerten Schlafzustand, der mich allerdings nicht erreicht. Da hilft auch kein „Narnia“, der uns gezeigt wird. Ich teile mir mit einer sehr wortkagen Engländerin einen Dreiersitz direkt bei einem Notausgang, was zwar mehr Beinfreiheit garantiert, dafür lassen sich die Armlehnen nicht hochklappen und meine wohlgerundeten vier Buchstaben füllen den Sitz gerade so aus, dass an eine Gewichtsverlagerung oder Beine verschränken gar nicht erst zu denken ist. Noch dazu kann ich die Rückenlehne nicht nach hinten stellen, da die Dame hinter mir mit zwei schlafenden Kindern auf ihr allen Raum vor sich braucht. Also stehe ich eine Weile am Gang herum, ein anderer Steher gesellt sich dazu und uns anlächelnd und schweigend betrachten wir die schlummernde Meute.

Irgendwann werde ich dann doch etwas müde und nehme Schlafposition ein: Gerade sitzen, nur der Kopf hat etwas seitlichen Spielraum. Bevor sich der erste Hexenschuss ankündigt, setze ich mich auf den Beinfreiheitsboden, lege den Kopf auch die Sitzfläche. Auch so geht schlafen. Und ich döse tatsächlich zwei Stunden vor mich hin. Dürfte eine Weltpremiere sein.
Übergangszuhause
Die Landung in Dar es Salaam weckt uns und wir torkeln um 5 Uhr 30 etwas schlaftrunken in die Ankunfts- ähm- sagen wir mal „Ankunftsbaudings“ dazu. Und hier beginnt sie wirklich, die afrikanische Bürokratie. Und damit auch die afrikanische Gelassenheit, denn ohne die verzweifelt man hier. Ich habe es nicht eilig und fülle gelassen die Einreise- und Deklarationsformulare aus, suche die 50US$ für Einreisevisum hervor und einfach cool. Alles andere ist hier fehl am Platz, und jede(r) andere, die was anderes vorhat, verzweifelt nur.

Ein Uniformierter sammelt Pass, Geld und Formulare ein bringt sie zu einem Schalter. Dort liegen sie dann erst mal gut. Zusammen mit dem Zeugs der anderen 80 Passagiere. Schalter sind insgesamt fünf besetzt, was aber gar nichts bedeutet. Es gibt nagelneue Fingerskanngeräte an jedem Schalter, aber nur einen normalen Skanner für Dokumente. Ja und wenn der nicht will, dann bringen die vielen neuen Fingerskanner auch nichts.

Nach gut 90 Minuten darf ich mit meinem Gepäck aus dem Flughafen rausmarschieren und werde promt von Taxifahrern umschwärmt. Alle wollen mir was Gutes tun und bieten mir die besten Deals an. Ein bisschen handeln geht noch, aber es ist klar, dass der auserwählte Taxler trotzdem genug Gewinn macht. Ich tu auf allwissend und prüfe erst Mal seine offizielle Zulassung. Das schlagen mir sämtliche Reiseführer und –foren vor. Sollen sie ruhig, so eine Registration ist doch auf einfachste Weise zu fälschen.
Mein auserwählter Taxler scheint anfangs ein ganz Netter zu sein. So lasse ich meine Vorsicht und meinen gesunden Menschenverstand etwas weg und schon falle ich auf ihn herein. Trotz besseren Wissens lasse ich mich von ihm zu einem Ticketoffice am Busbahnhof fahren und mir – wie ich später erfahre – zu horrenden Preisen ein Busticket andrehen. Alles muss schnell, schnell gehen, denn der Bus fährt gleich. Eine weitere Taktik, von der ich weiß und trotzdem drauf reinfalle, denn ich lasse mich von der Eile anstecken. Wir hetzen zu einem Bus, der gerade zur Abfahrt bereit steht, mein Gepäck wird hineingewuchtet und schon sitze ich drinnen. Und da realisiere ich erst, dass es sich hier nicht um die hoch angepriesenen Luxusbusse handelt, die Überland verkehren, sondern um eine etwas klapprige, abgenutzte Ausgabe, in der ich noch dazu die einzige Mzungu (Weiße) bin. Kein anderer Tourist weit und breit. Mein Sitznachbar in der zweiten Reihe ist aber freundlich und lässt mich in Ruhe. Wahrscheinlich, weil er – so wie alle anderen hier – nur Kiswahili spricht.
Jetzt kann ich nichts mehr tun, als sitzen zu bleiben, meinen – mit Wertsachen gefüllten – Rucksack auf dem Schoß im Auge zu behalten und hoffen, dass ich irgendwie heil im Mombo ankommen. Was soll also noch großartig schiefgehen? Dass der – ohne Rücksicht auf Verluste – dahinrasende Bus einen Unfall baut? Dass mir – während ich schlafe  - Passagiere, die aufgrund fehlender Sitzplätze dicht neben mir im Gang stehen – was von meinem Zeug klauen. Dass ich eine drogenbehandelte Flasche Wasser kaufe und trinke und ausgeraubt werde, während ich weggetreten bin? Dass ich mein großes Gepäck, welches irgendwo unten hinten im Bus untergebracht ist, nie mehr wiedersehe?

Hab ich schon die Möglichkeit eines Unfalls erwähnt?
Alles geht gut und der Bus erreicht mit nur einem Seitenspiegel weniger Mombo. Bis dahin gibt es nur einen Fast-Unfall mit einem LKW, der seitlich ausschert, weil er nach einem Überholvorgang nicht mehr bremsen kann und einen längeren Stopp, weil unser Busfahrer mit einem anderen einen Streit anfängt in den später nur die – zufällig anwesende -  Polizei einschreiten kann. Und ich verpasse einen wichtigen und sehr seltenen Klostopp aufgrund fehlender Kiswahilikenntnisse, was die Dehnungsfähigkeit meiner Blase ins Übernatürliche strapaziert. Dabei trinke ich vor lauter Vergiftungsangst nur ganz kleine Schlucke aus der - bei einem Stopp erstandenen - Wasserflasche, um die Wirkung abzuwarten.
Am Fuße der Usambaraberge

Nachdem ich meinem Sitznachbarn Schoko anbiete, taut er etwas auf und sagt mir bei jedem Stopp, um welchen Ort es sich handelt, damit ich Mombo nicht verpassen würde. Einmal telefoniert er kurz und ich verstehe seinen ersten Satz: Er würde im Bus neben einer Weißen sitzen. Ich bekomme keine Telefonverbindung zusammen, weil bob trotz intenser Netzdichte nichts damit anzufangen weiß. Diese kleine Tatsache beunruhigt mich mehr als alle waghalsigen Überholmanöver, Drogen im Wasser und Fast-Unfälle. Niemanden erreichen zu können, wenn man Hilfe brauchen würde - Das wäre schlimm!

Kurz vor Mombo fordere ich in gebrochenem Kiswahili ein, dass man mich rauslassen möge. Ich habe die vorherigen Stopps erlebt: Der Bus senkt seine Geschwindigkeit gerade so, dass einzelne Passiere abspringen können, ohne zu stürzen. Nein danke, ich möchte bitte gesittet aussteigen und auch mein Gepäck haben und bringe dies lautstark, aber dennoch freundlich zum Ausdruck. Und plötzlich werden alle um mich herum ganz freundlich und hilfsbereit, beruhigen mich, manche fangen mit mir in zaghaftem Englisch Gespräche an, wollen wissen, woher ich komme und was ich in Lushoto machen werde. Ein Mädchen bietet mir ihre angebissene Orange an. Und in dem Moment wird mir klar, dass ich die ganze Angstmacherei in den Büchern und Foren, in denen ich gelesen habe, vergessen muss. Eine gesunde Portion Vorsicht, kombiniert mit Kontaktfreude ist das, was man hier braucht. Nicht mehr und nicht weniger. Böse Buben gibt’s überall auf der Welt, aber die meisten wollen einfach nur hilfsbereit sein, manchmal gegen Entgeld, manchmal ohne Absicht.

Und so geht es auch weiter, als ich nach insgesamt  6 1/2 Std. in Mombo aussteige, man mir mein Gepäck reicht und mir „Safari njema“ (Gute Reise!) wünscht. Gleich sind einige zur Stelle und wollen mein Gepäck tragen. Ich verneine freundlich, lasse mir aber den Weg zum Daladala Stopp zeigen. Daladala sind kleine, umgebaute Busse, die die sogenannten „Kurzstrecken“ bewältigen. So ein Daladala soll mich nach Lushoto – ca. eine Stunde entfernt von Mombo – bringen. Aber vorher muss ich Geld wechseln, denn die Fahrer nehmen keine Dollar oder Euros sondern nur Tansanische Schillinge an. Da es Sonntag ist, gestaltet sich diese Unterfangen etwas schwierig. Ein Cafebesitzer bietet mir an, es schwarz zu wechseln, allerdings sind die Gebühren horrend.

Da erblicke ich auf einmal einen anderen Mzungu ganz in meiner Nähe. Ein Tansanier schleppt gerade den Rucksack des Mannes zu seinem Fahrzeug und ich höre, das der Mzungu recht gut Kiswahili spricht. Sofort stürze ich mich auf ihn, stelle mich vor, frage wo er hin fährt, ob ich auch mitfahren könne und wir uns den Fahrpreis teilen könnten.
So lerne ich den Vogelbiologen Valery aus Belgien kenne und werde gemütlich bis nach Lushoto mit einem Privattaxi gechartert. Und ich zahle nur geringfügig mehr, als mich die Fahr in einem vollbesetzten – denn vorher fahren diese Minibusse nicht - Daladala gekostet hätte.

Als ich das Hinweisschild zum Hostel der Rosmini Brothers sehe, steige ich aus und marschiere die letzten 200 Meter zum Hostel. Hier spricht mich keiner an, manche grüßen, viele schauen einfach nur.
Und dann bin ich da: 28 Stunden nach dem Verlassen von Graz: Meine neue Heimat für die nächsten sechs Monate.

Das Hostel der Rosminians.
Mein Zimmer: Türe links unten
Und das soll erst drei Tage her sein? Drei Tage gefüllt mit English Class, Ugali und Bohnen, vielen, vielen neuen Namen, Laufen gehen, Einkaufen am Lushoto Market, Kaffee trinken bei Liz, dem Kennenlernen von Elisabeth, Volleyball, Telefonproblemen und –lösungen, Sehnsucht und Akzeptanz, Ausfahrten mit Father Francis, Katzenspielen, Zimmerverschönerung, und so weiter….

Unglaublich!

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