Sonntag, 16. Oktober 2011

Das 1-Monats-Resimäh

Zurückschauen.
Und dann nach vorne.
Jö, wenn ich vor fünf Tagen mein Resümee gezogen hätte, dann hätten sich einige beresümeete  Leute hier warm anziehen müssen.
Ein Resümee vor 3 Tagen: Immer noch Gummistiefel an!


Heut schaut es anders aus. Besser.





Für fast alle, die hier ihr Fett abbekommen. Einschließlich mich! Weil ich etwas Frieden gefunden hab. Weil ich eine Idee von meinem weiteren Verbleib hier habe. Weil ich mich schon verdammt gut kennengelernt habe. Weil heut wieder mal die Sonne geschienen hat. Weil der Portwein wirkt.
Da schau sich mal einer an, was sich in ein paar Tagen alles ändern kann!



 
Aber gut, blicken wir mal zurück. Blicke ICH mal zurück:

Vor genau vier Wochen bin ich hier angekommen. In einem Stück, aber erschöpft und angespannt und erdrückt von Eindrücken und verschlossen vor Ängsten. Und mir ist es gleich mal nicht gut gegangen.
Bis ich dann Menschen kennenlernte, die mir einen Anstoß, einen Schupfer in irgendeine Richtung gaben. Die Richtung war eigentlich egal, Hauptsache es gab eine. Und erst wenn man sich mal in eine Richtung bewegt, merkt man, ob es die richtige ist. Und umkehren, oder einen Schleichweg zu einer anderen suchen.
Und plötzlich merkt man, dass die Richtungen hier andere sind. Nicht so wie daheim, wo alles irgendwie klar war. Denn auf einmal hat das Vorwärtsbewegen andere Auswirkungen. Vielleicht deshalb, weil man in einem anderen Land ist. Oder man mit neuen Charakteren zu tun hat. Oder weil die Kultur, die Religion, die eigene Einstellung einfach nicht mehr zulassen, dass man die bekannte Richtung beibehält, nicht mehr wegschauen kann.
Da war zuerst mal die Auseinandersetzung mit der katholischen Umgebung und meinem eigenen Glauben. Wo spiel ich des lieben Frieden willens mit, wo verleugne ich mich? Und eine anfangs eingeschlagene Richtung hat sich als falsch herausgestellt. Und im End Effekt hat mir eine absolut energieraubende und anfangs sehr unnötige scheinende Diskussion mit einem Pfarrer die Augen geöffnet und den ersten Anstoß gegeben, mich mal genauer mit meiner Spiritualität und meiner religiösen Vergangenheit zu beschäftigen. Noch bin ich unterwegs, aber zum ersten Mal hab ich gute Sicht! Und genau das gibt mir Kraft, Grenzen zu setzen, dort, wo ich sie brauche. Denn jetzt hab ich ein besseres Gefühl und Wissen dafür, wo diese Grenzen hingehören.
Dann kam meine Suche nach meiner Aufgabe hier. Nichts, was ich anging, war zufriedenstellend. Alles schien so halbherzig, keiner wusste einen Platz für mich. Ich war frustriert, verärgert und fühlte mich hilf- und kreativlos, hab um mich geschlagen.
Bis dann ein rettender Engel in Erscheinung trat. Ein Engel, der selbst grad ordentlich abgestürzt ist, aber vielleicht gerade aufgrund ihrer eigenen Aussichtslosigkeit mir Klarheit verschaffen konnte. Meinem Unwohlsein einen Namen geben konnte.
Und auf einmal hatte ich genug objektiven Abstand, um selbst an die Sache heranzugehen.
Mir mal darüber bewusst zu werden, was ich bin, was ich kann und was ich den Leuten hier anzubieten habe. Und dann kamen die Ideen und sie kommen weiterhin. Und ich bin endlich dabei, mir hier mein Plätzchen zu schaffen.
Ganz nebenher und doch vordergründig läuft die Auseinandersetzung mit dieser so fremden Kultur. Und die Gedanken und Gefühle, die da ablaufen, schauen stündlich anders aus. Ich bin froh, dass ich mich vorher schon literarisch damit auseinandergesetzt hab. Denn so verstehe ich mit dem Verstand einiges mehr, als ein „Normaltourist“. Was nicht heißt, dass ich es mit meinen Gefühlen verstehe.
 
Mein Herzallerliebster ist allerdings ein hervorragender Kombinierer dieser beiden – manchmal so unterschiedlichen – „Zustände“ in mir und obwohl er nicht vor Ort ist, kann er meine emotionalen Verwirrungen mit meinem vorhandenen Wissen verknüpfen und mich in die Realität zurückholen.
Aber auch die Auseinandersetzung mit europäischen Wegbegleitern ist keine einfache, wenn diese – so mutmaße ich mal – noch weiter von einem Kulturverständnis entfernt sind, als ich selbst es bin.



 
Was hab ich also in den letzten vier Wochen gelernt oder wußte es schon und bekam die Bestätigung (in beliebiger Reihenfolge):

(Achtung: Das hier sind meine ganz persönlichen Erfahrungen und Gefühle. Darum diskutiere ich auch nicht mit Euch darüber. Mir ist bewusst, dass ich hier oft pauschalisiere, was in diesen Fällen zynisch gemeint sein soll. Außerdem sind Erfahrungen wandelbar. Gefühle auch. Bei manchen davon hoffe ich es ganz stark!)
1.) Die Gradwanderung zwischen der (naiven) Unschuld, offen auf die Tansanier zugehen zu können und darauf zu hoffen, dass man ihnen etwas Sinnvolles in ihrem Leben mitgeben kann und der Realität, wie hier alles stockt oder sogar zugrunde geht, wenn man es aus den Augen lässt, ist eine ganz enge und fragile.

2.)  Es gibt Engel (oder wie auch immer man sie nennen möge). Jedenfalls hier.

3.)  Meine Güte, ist das hier Powerselbsterfahrung! Und ich dachte, die hab ich dann mal nächstes Jahr bei meiner geplanten Spaniendurchquerung.

4.) Manipulationsversuche gibt es überall. Aber hier erkenne ich sie, weil sie nicht so subtil scheinen.

5.)  Stringtangas brauchen gleich lange, um nach dem Waschen zu trocken, wie T-Shirts und sogar länger als Jeans.

6.)  In der Dunkelheit bin auch ich schwarz.

7.) Entwicklungshilfe im derzeit üblichen Sinn bringt kaum etwas für eine selbständig, organisierte Zukunft. Ist aber vielleicht sogar besser so. Wird nur Zeit, dass wir das endlich begreifen.

8.)  Beim Volleyball wird nicht rotiert.

9.) Wenn Dir ein Polizist anlässlich einer sogenannten „Safety week“ einen Autoaufkleber verkaufen, Dir aber keine Rechnung geben will, lass es bleiben. Ist eine neue, kreative Art, sich was dazuzuverdienen!

10.) Auch katholische Brüder können Gadaffi Anhänger sein. Um die mache man einen besonders  großen Bogen, denn bei denen ist definitiv was nicht richtig in der Schüssel.
Dafür haben hier geschätzte 3 von 5 Priestern oder Brüder (manchmal sehr offensichtlich) „Geschichtln“ mit Frauen. Das sind die Umgänglichsten und „Normalsten“.

11.) Mit den meisten Tansaniern, die ich traf, kann man sich nur dann so etwas wie „befreunden“, wenn sie vorher noch nie mit „Weißen“ zu tun hatten. Fast alle anderen erwarten sich etwas für ihre Freundlichkeit oder Hilfsbereitschaft. Wenn sie nichts bekommen, werden sie aber selten unfreundlich. War halt ein Versuch. Und sind das nächste Mal wieder freundlich.

12.) Kein Wasser zu haben ist viel schlimmer, als keinen Strom zu haben. Aber beides gleichzeitig nicht zu haben, ist besonders blöd.

13)  Nur weibliche Moskitos surren.

14.) Man kann tagelang Durchfall haben und trotzdem (der gerade deswegen?) (fr)essen wie ein Mähdrescher.

15.) Christliche Werte hören beim Umgang mit Tieren auf. Und oft auch bei Frauen.

16.) Rugby ist ja so viel cooler als Fußball.

17.) Die Dürre in den Steppengebieten kann noch so um sich greifen. Hauptsache es gibt Wasser zum Autowaschen.

18.) Joghurt ist eine Erfindung, die weltweit mehr geschätzt werden sollte. Vor allem, weil es sie nicht überall gibt.

19.) Nach mehrwöchigen Regenfällen verziehen sich selbst Vollholztüren.

20.) Sich vor einem längeren Volontärsaufenthalt eine erfahrene Organisation zu suchen, macht Sinn.

21.) Nur weil man in einem berühmten Kaffeeanbaugebiet wohnt, heißt das noch lange nicht, dass man irgendeinen anderen Kaffee als Instant Kaffee zu trinken bekommt.

22.) Die beste Möglichkeit, mit der sogenannten „Kirche“ abzuschließen ist, sich mitten reinzusetzen.

23.) Alles lässt sich frittieren.

24.) Kuschelrockschnulzen wären schon längst in Vergessenheit geraten, gäbe es nicht Rogers und seinen Laptop.



So, nun aber genug geresidingsbumst, jetzt wird in die Zukunft geschaut. Und die schaut ganz rosig aus: Ab Montag zwei Wochen Urlaub mit Eva, dann Kiswahili Intensivkurs und der Start des ersten kleinen Projekts. Und die Vorbereitung weiterer. 

Außerdem schauts zum ersten Mal danach aus, als wäre die gröbste Regenzeit vorbei. Wortwörtlich und metaphorisch.

1 Kommentar:

  1. wie gehst du damit um, daß ein augescheinliches indigenes geplänkel, worum auch immer, sehr oft bis immer in ein, zumindest für mich, ziemlich aggressives rempeln, stoßen o.ä. ausartet? ich habe diese leicht zu weckende latente alltagsaggressivität in diesem ausmaß eigentlich nur im bereich der subsahara kennengelernt.

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