Donnerstag, 17. November 2011

Das 2Monats - Resimäh

Ja, der zweite Monat also! Ist ja eigentlich nix. Pff, erst zwei Monate?

He, mir kommt es vor, dass ich schon ewig da bin und obwohl die Zeit gefühlsmäßig schnell vergeht, liegt meine letzte Wanderung auf einen steirischen Berg, mein letzter Abend mit meinen LieblingsfreundInnen im „Brot und Spiele“, meine letzte Radlfahrt zur Arbeit schon unendlich weit zurück. Könnt letztes Jahr auch gewesen sein.


Dazu kommt, dass der zweite Monat hier eine Aneinanderreihung von Ausnahmezuständen war. Tätigkeiten, Erlebnisse, Gefühle, Erfahrungen, die nicht ins Alltagsleben gehören, das ich hier schön langsam lebe. Die mein Hirn, mein Herz, meinen Bauch (und meine Zehen nicht zu vergessen) zusätzlich so in Anspruch genommen haben, dass da kein Platz mehr bleibt für Erinnerungen „vor Afrika“. Dass auch kaum Platz bleibt, an Zeugs abseits „von Afrika“ zu denken.

Nie denk ich an die Arbeit, bzw. wenn ich daran denk, dann nur: Würd ich jetzt nicht machen wollen! Und will auch nichts darüber erfahren!
Selten denk ich über Fragen nach, die „vor Afrika“ offen geblieben sind. Dinge, vor denen ich „nach Afrika“ davongerannt bin, sind so weit von mir weg, dass ich sie nicht mal bewusst zu verdrängen brauche.

Das mag vielen von meinen FreundInnen und auch meiner Familie aufgefallen sein. Dass sie nicht viel von mir hören und die einzige „Line“ zu mir bleiben Kommentare und Fotos auf Facebook, die einzige Info über mich dieser Blog.
Ihr sollt wissen, dass das nicht daran liegt, dass Ihr mir gleichgültig geworden seid, sondern daran, dass Ihr mein „anderes Leben“ seid. Und zwei Leben nebeneinander zu führen schaffe ich langfristig nicht. Vor allem nicht, wenn das „Tansanialeben“ so viel von meiner Konzentration, meinem Verstehen - Wollen und meinen Emotionen in Anspruch nimmt.
Hab Euch als Entschädigung eine Postkarte geschickt. Das sollte als genügend großes Opfer anerkannt und Entschuldigung ausreichend sein! ;-)
Also, warum ist dieser zweite Monat hier so außergewöhnlich?
Ist er gar nicht, wenn ich mir meine Pläne für die nächsten vier Monate anschau. Die werden – bis auf den Jänner – auch fernab jeglichen Alltaglebens sein.
Ist er schon, denn in diesem Monat sind einige Entscheidungen gefällt worden. Weil viele meiner Erwartungen über den Haufen geschmissen wurden (und werden mussten), damit ich zufrieden mit meinem Verbleib hier sein kann. Damit ich das Gefühl habe, immer noch möglichst viel aus meinem Aufenthalt hier rauszuholen, auch wenn dieser bittere Beigeschmack, das erste Monat „vergeudet“ zu haben, mitschwingt. Und wenn das „Rausholen“ jetzt doch anders aussieht, als ich noch vor zwei Monaten gedacht hab.

Die – für mich größte – Veränderung kann ich Euch heute noch nicht nennen, da möglicherweise Leute hier mitlesen, die das jetzt noch nicht (und dann nicht mehr) zu interessieren hat. Wenn das „dann“ da ist, sag ich es Euch.
Nein, ich heirate keinen Massai. Kann das bitte jemand auch der Mama meines Herzallerliebsten ausrichten, die leider zu viel „Die weiße Massai“ gelesen hat und diese sechs Monate literweise Angstschweiß verliert!
Die ersten zwei Wochen des zweiten Monats waren schon mal deshalb anders, weil sie nichts anderes als ein großartiger, abwechslungsreicher (und anstrengender) Urlaub mit meiner besten Freundin waren.


Weil ich wieder Touristenstatus annahm, eine Rolle, die leichter zu spielen ist, weil sie (mir) bekannt ist. Weil sie überall auf der Welt gleich ist: Ich zahle und will dafür etwas erleben, sehen, kennenlernen. Leistung – Gegenleistung. Da gibt’s kein „meinen Platz und Heimat finden“, keine Auseinandersetzung mit dem Glauben, kein „sinnvolle Aufgabe finden müssen“.
Wenn Ihr das in Eurem wohlverdienten Urlaub habt, meinen Glückwunsch! Muss ein toller Urlaub sein. Und mein Beileid! Schaut wohl schlecht mit Erholung aus.
Jedenfalls zwei Wochen Ausnahmezustand für mich, in denen auch die Pläne für meine weiteren vier Monate hier entstanden sind. Scheinbar muss man raus aus seiner krampfhaft erschaffenen Rolle, damit man sie wo anderes wiederfindet.
Dann – wieder da – Start meines Kiswahilikurses. Fast täglich, meist sehr intensiv. Mit Hausaufgaben für die Mittagspause und nach der Nachmittagseinheit nochmal welche für den Abend. Wieder eine bekannte Rolle für mich. War ich schon mal: Schülerin sein.
Diese (fast) zwei Woche haben mich kognitiv so ausgelastet, geistig so gefordert, dass ich nicht imstande gewesen wäre, nebenher andere „Hirnarbeit“ zu erledigen. Als dann die Rosminians auch noch meinten, sie müssten mich beim Abendessen weiter unterrichten, hat meine Aufnahmefähigkeit gerade mal mehr für „X-Factor USA“ im Fernsehen gereicht.

Kiswahili kann ich deshalb zwar auch nicht viel besser sprechen als vorher. Aber recht gut lesen (inhaltlich verstehen) und schreiben. Hat mit der komischen Grammatik zu tun. Wird schon noch.
Meine Lieblingsköchein Mary
Blogpost- und Mails schreiben, Projektvorbereitung für das Zeitungsprojekt mit den Kids (dazu kommt später mal was) und Überlegungen für ein weiteres Projekt anstellen, mich einlesen ins Fundraising, Social Web Zeugs, Reiseplanung für den Dezember (wird ja Zeit, dass ich da mal rauskomme und Urlaub mache) usw., das alles hat durchwegs an den Wochenenden stattgefunden. Wenn ich da nicht grad unterwegs war: Im Urwald auf Autoladeflächen mitfahren, mit hübschen SchweizerInnen die Nacht durchfeiern und dazugehörige Verarbeitung der Nachwirkungen, mit ebenso hübschen Norwegerinnen Pizza essen gehen (ausnahmsweise ohne Nachwirkungen). Alles ganz wichtige Dinge, die auch Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.
Zusammengefasst: Ein durchaus untypischer Volontärmonat. Ein Ausnahmezustandsmonat.
Ein Monat, wo ich zwar nicht viel weitergekommen bin im „mich hier finden“, aber meinen Ärger über die Kommunikationsunfähigkeit meiner Vermittlungsorganisation und damit verbundene Ungereimtheiten ein für alle Mal abschließen konnte und „mich woanders gefunden“ habe.
Bei den Rosminians fühl ich mich inzwischen daheim, wobei dies eher örtlich als sozial gemeint ist. Wir verstehen uns hervorragend im Besprechen von und im Lachen über belangloses Zeug.
(Aber ich muss zugeben, dass Father Francis  - seines Zeichens meine „Kontaktperson“ - mein Vertrauen besitzt, was meine zukünftigen Pläne angeht und dass er – obwohl in der ungünstigen Position, zwischen den Stühlen zu sitzen – sein Bestes getan hat, um mir eine Unterstützung zu sein.)
Wenn ich im Innenhof mit Kopfhörern in den Ohren vor meiner Tür sitze, wissen bereits alle, dass sie mich erst gar nicht anreden brauchen. Ich werde immer so tun, als hätte ich sie nicht gehört. Inzwischen kann ich ihnen das grammatikalisch einwandfrei auch in Kiswahili mitteilen und sie dann ignorieren. Ist höflicher.
 Mein Lieblingspfarrer, der sich hier leider nicht mehr sehr oft hier blicken lässt, hat sein krampfhaftes Lächeln in meiner Gegenwart bereits so gut perfektioniert, dass ihm eine außenstehende Person die angebliche Echtheit fast abkaufen könnte.
Aber hier hab ich meinen Platz gefunden. Mein Zimmer, meine Bank und mein Tisch vor der Tür in der Sonne, gerade nah genug an der Steckdose. Ich weiß, wo das Geheimversteck des Schlüssels ist, um nachts in die Küche zu kommen. Nicht, dass es dort was zu holen gäbe.
„Mitzi Blue“ (steirische Zotter Schoki) Schokoverpackungen hängen dort, wo einst ein Kreuz hing.
Ich hab meinen Stammplatz auf der allgemeinen Wäscheleine für meine selbstgewaschene Unterwäsche. Ich habe mein eigenes Wettex, meine eigenen Teppiche, meinen eigenen Wasserkocher für Wärmflaschenwasser. Die Fliesenfugen im Badezimmer haben eine Farbe angenommen, mit der ich leben kann. Meine Müslimilch steht neben den hosteleigenen Marmeladen  und mein Mischbrot friert neben der halben Ziege im Gefrierfach.
Meine Heimat.
 
Ja und dieses Kulturzeugs und das Leben mit den Tansaniern?
An dem hat sich nicht viel geändert. Einiges an deren Traditionen und Denkweisen bleibt schleierhaft. Bis man die Hintergründe kennenlernt.
Und doch hat sich was geändert:
Jetzt, nach zwei Monaten erscheint vieles „normaler“ als noch am Anfang. Wahr scheinlich weil ich abstumpfe und viel mehr ignoriere. Oder akzeptiere? 
Weil es manchmal gar nicht anders geht. Aus Selbstschutz.
 

Man gewöhnt sich daran, dass man nun mal angesprochen wird, obwohl man signalisiert, dass man seine Ruhe haben möchte. Höchstens man nimmt seinen Besen mit.
Dass ich als Mzungu tagtäglich einer ganz bestimmten Form von Rassismus ausgesetzt bin, zb. in Form von höheren „Mzungupreisen“ für gleiche Leistung.
Dass kaum zwischenmenschliche Gleichheit möglich ist, weil Wazungu von vorneherein gerne von vielen Tansaniern auf einen höheren Level gestellt werden. Und dass es leider Wazungu gibt, die das ausnützen und es die Tansanier genauso spüren lassen.
Dass es hier Klatsch und Tratsch herrscht und viele meiner Bewegungen von allen Seiten verfolgt werden.
Aber auch:
Dass es Tansanier gibt, die mir helfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten und dass es Familien gibt, die mich sofort freundlich willkommen heißen und mit mir teilen wollen, was sie haben.
Dass viele Tansanier eine eigene Denk- und Vorgehensweise haben, was Problembehebungen angeht. Aber irgendwie wird immer eine Lösung gefunden. Ich brauche nur die Zeit mitzubringen.
Dass es hier Entwicklungszusammenarbeitsprojekte gibt, die wirklich etwas bringen und selbständig weiterbestehen können.
Was hab ich noch im zweiten Monat erfahren: (Viel nicht, denk ich. Hat was mit dem Ausnahmezustandsmonat zu tun.)
  1. Man kann die Phrase „Mir ist heiß“ nicht wortwörtlich ins Kiswahili übersetzen, wenn man nicht augenblicklich eine Horde brunftiger Männer um sich versammelt haben will. (Was übrigens hin und wieder auch ohne Worte auszusprechen, passieren kann.)
  2. Adler sind keine Geier, auch wenn sie ganz gleich aussehen. Schwierig wird’s nur, wenn sie wie Affen brüllen. Dann bin ich überfordert.
  3. Nur weil es tagsüber 35 Grad hat, heißt das noch lange nicht, dass man nachts die Wärmeflasche weglassen kann.
  4. Meine anfängliche Rihannaneutralität wich einem Rihannamusiktraumata wich einer Rihannavideo- ähm, nennen wir das Wort mal Faszination. Am schönsten singen aber andere Menschen Rihannalieder. Und „X Factor USA“ bildet auch.
  5. Stundenlang keinen Strom haben ist und bleibt nervig. Auch wenn viele meinen, dass man sich daran gewöhnt, dann haben sie nur insofern recht, dass man – sobald Strom da ist – nicht bis später wartet, sondern gleich alles aufläd, auch wenns noch gar nicht notwendig wäre.
  6. Der Tageslohn eines Automechanikers ist anscheinend geringer als ein Autocheck mit evtl. Mängelbehebung. Wie in Österreich.
  7. Es gibt einen Riesenunterschied, ob ich als Touristin oder als Hierlebende einem Tansanier gegenübertrete. In meiner Denkweise und in meinem Verhalten. Deshalb reagiere ich etwas allergisch darauf, wenn ich als Hierlebende wie eine Touristin behandelt werde.
  8. Alles lässt sich frittieren.


Und nun schauen, was das 3.Monat bringt.
Ich hab ja sowas von keine Ahnung. Und versuche, möglichst wenig zu erwarten.
Das hat was!

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